Dorfgeschichte

Die folgenden Beiträge stammen alle aus unserem Festbuch zum Jubiläum 2002.

 

 

Von Heinz Günther.

Ärzte in Bindsachsen ab dem Jahre 1920

In den früheren Jahren hat sich die ländliche Bevölkerung, soweit als möglich, mit Heilmitteln aus der Natur versorgt und damit Krankheiten behandelt. Ein Mediziner wurde erst dann hinzugezogen, wenn eine Krankheit mit den „Allheilmitteln“ nicht erfolgreich behandelt werden konnte und eine Verschlimmerung eintrat. Die ärztliche Leistung in bar zu bezahlen, war für den überwiegenden Teil der Dorfbewohner nicht möglich.

Es gab noch keine Behandlung auf Krankenschein. Auch war kein Geld da, um sich freiwillig zu versichern. Zwar gab es ab ca. dem Jahre 1925 eine Private Krankenversicherung Namens „Nothilfe“, welche aber, wie bereits vorher erwähnt, nur von wenigen Familien in Anspruch genommen werden konnte. Das Arzthonorar wurde meistens, sogar überwiegend, durch eine Gabe in Naturalien, wie z. B. in Form von „Hausmacher Wurstwaren, Schinken, Brot, Butter, Eier, usw.“, abgegolten.
Ab dem Jahr 1920 waren Herr Dr. Otto aus Wenings und Herr Dr. Lucius aus Hirzenhain die Hausärzte in unserer Region. In schwierigen Fällen haben beide Ärzte auch zusammengearbeitet und sich beraten.

So wurde im Herbst des Jahres 1927 Herr Konrad Nagelschmidt sen. geb. 1872 verst. 1963 wegen eines erlittenen Schenkelhalsbruches, den er sich bei Arbeiten mit seiner Dreschmaschine zugezogen hatte, 16 Wochen bettlägerig zu Hause behandelt. Herr Dr. Otto hatte dem Patienten einen 4 kg schweren Mauerstein an das verletzte Bein gehängt, um eine Kürzung zu verhindern. Diese Maßnahme half aber wenig, da trotz dieser Methode, das Bein sich um 4 cm verkürzte, was auch später nicht mehr zu korrigieren war. Die Behandlungskosten wurden privat bezahlt.

Ab dem Jahre 1928 kam Herr Dr. Brettel nach Wenings und war für uns Bindsächser zuständig. Dr. Brettel soll ein sehr guter Diagnostiker gewesen sein. Er hat hin und wieder „einen – getrunken“ was für ihn aber Medizin war. Diesen medizinischen Ratschlag hat er auch seinen Patienten gegeben mit dem Hinweis, dass Alkohol eine wirksame Medizin sein kann, wenn er in „Maßen“ eingenommen wird. Herr Dr. Brettel war unkompliziert und fühlte sich überall zu Hause. Er öffnete, wenn er es für angebracht hielt, Tisch- oder Schrankkästen, nahm sich etwas zum Essen, oder falls vorhanden, einen Geldbetrag und sagte zum Abschied: „Die Behandlungskosten sind damit abgegolten.“ Im Winter, wenn sein Auto wegen hohen Schneeverwehungen nicht fahren konnte, wurde er von den hiesigen Landwirten per Pferdeschlitten zu den Patienten geholt und wieder nach Wenings zurückgebracht. Herr Dr. Brettel war bis zum Jahre 1946 im Einsatz.

Nachfolger von Herrn Dr. Brettel wurde Dr. Hauck (1946-54). Einer der ersten Patienten von Dr. Hauck war Konrad Nagelschmidt jun. Geb. 1911. Dieser Patient kam gerade aus der Kriegsgefangenschaft zurück und sein Körper war mit ca. 60 Hautgeschwüren zugedeckt. Aufgrund einer wochenlangen Behandlung und durch Verabreichung von „Hefe“ konnte Herr Dr. Hauck die Krankheit besiegen.

Ab dem Jahre 1954 übernahm Herr Dr. Mühlig-Hofmann die Weningser Praxis. Herr Dr. Mühlig-Hofmann hielt erstmals auch Sprechzeiten in Bindsachsen ab, und zwar in der Gaststätte Reutzel. Er verstarb leider zu früh an einer bösartigen Kehlkopferkrankung und ist in Wenings beerdigt. Dies war im Jahre 1969.

Als sein Nachfolger trat Herr Dr. Hocic in die Praxis ein. Dr. Hocic hielt seine Sprechstunden in der Gaststätte Schrimpf ab und war bis zum Jahre 1979 tätig.

Seit 01.01.1980 hat wieder ein Arzt Namens Dr. Otto die Praxis übernommen und ist bis zum heutigen Tage dort ansässig. Herr Dr. Otto hat es beibehalten, auch Sprechstunden in der Gaststätte Schrimpf weiter durchzuführen, was bis heute noch erfolgt.

Außer den Ärzten, welche in Wenings ihre Praxis hatten, waren und sind aus unseren Nachbarorten, wie Hirzenhain, Gelnhaar, Kefenrod, Wolferborn und auch Büdingen, Mediziner für uns dagewesen und noch tätig.

Die ärztliche Versorgung unseres Ortsteiles ist als gut zu bewerten und wir sind damit auch zufrieden. Hinzu kommt, dass wir durch die Krankenhäuser in Büdingen und Gedern auch im stationären Bereich, eine schnelle Hilfe und Behandlung erwarten können. Auch der „Notdienst“ in der Nacht sowie an Wochenenden und Feiertagen, ist als eine sehr gute Einrichtung hervorzuheben. Dies ist in der heutigen Zeit auch notwendig und nicht mehr wegzudenken.


Von Anni Seifert.

Ungewollte Invasion

Es liegt bereits 56 Jahre zurück, dass eine kleine Gruppe, bestehend aus 90 Personen, in Bindsachsen eingewiesen wurden. Dieser Monat Mai 1946 wird jedem unserer kleinen Gemeinde Luschnitz im Böhmerwald in Erinnerung geblieben sein.

Am 01. Mai 1946 änderte sich schlagartig alles. Ich erinnere mich noch genau, als zwei Tschechen mit einer Liste auf unser Haus zu kamen. Sie teilten uns mit, dass wir binnen 3 Tagen unser Haus mit 50 kg Gepäck pro Person zu verlassen hätten. Nun hieß es packen. 50 kg pro Person ist nicht gerade viel. Kleidung, Wäsche, Bettzeug, etwas Geschirr. Alles andere blieb zurück. Mit einem Fuhrwerk wurden wir in die nächste Ortschaft gebracht. Dort wurden Leute und Gepäck auf Lastwagen geladen und in unserer Kreisstadt Kapllitz in Baracken untergebracht. Hier wurden unsere Habseligkeiten immer wieder durchsucht. Schmuck und Wertgegenstände mussten ohnehin abgegeben werden. Der Aufenthalt dauerte 8 Tage. Für jede Person gab es 1000 Reichsmark. Nun hieß es fort in Richtung Deutschland!

Am Bahnhof wurden wir in Viehwagen verfrachtet. 40 Personen mit Gepäck in jedem Waggon. Es war alles andere als gemütlich. Wir lebten hauptsächlich von trockenem Brot. Der Zug bestand aus 45 Waggons. Ab und zu hielt er mal an, da konnte man mal austreten gehen. Unterwegs bekamen wir auch noch ein paar unschöne Zurufe. Zum Beispiel: Ihr Deutschen Schweine!“ In Taus an der Grenze wurden uns von unseren 1000 RM wieder 500 RM weggenommen. Schließlich kamen wir in Furth im Walde/Deutschland an. Da gab es zum ersten Mal eine warme Erbsensuppe. Nun ging es weiter durch Deutschland. Der Zug wurde immer kürzer, es wurden immer wieder Waggons abgekoppelt. Unser letzter Aufenthalt war Bad Vilbel. Hier waren wir auch in Baracken untergebracht. Nach 4 Tagen kamen wir dann in Büdingen an. Von da ging es dann mit Fuhrwerken nach Bindsachsen.

Im Saal Reutzel begann die große Verteilung. Es war der 16. Mai, es regnete leicht vor sich hin. Genau so war die Stimmung. Es war für uns alle schwierig, auch für die hiesigen Leute, die plötzlich in ihre Häuser fremde Leute einquartiert bekamen. In der nächsten Zeit mussten schon manche Schwierigkeiten überwunden werden. Zum Beispiel die beiden Konfessionen evangelisch/katholisch. Hier zeigte sich die evangelische Kirche sehr tolerant. Alle 14 Tage konnten die Katholischen in der evangelischen Kirche ihren Gottesdienst halten. Allmählich löste sich auch dieses Problem. Wir sind ja auch nicht in Irland. Mit der Zeit glätteten sich alle Wogen. Einige von unseren Leuten sind weggezogen, aber die meisten sind hier geblieben. Sie haben sich neue Existenzen geschaffen und sind längst „Bindsächser“ geworden. Die meisten haben auch schon mal ihre Heimat besucht, welche sich in einem katastrophalen Zustand befindet.

Zum Schluss sage ich: „Ade du schöner Böhmerwald. Es lebe Bindsachsen!“


Von Herbert Kleer.

Anfänge des Fernmeldewesens

Im Jahre 1940 hatte die Postvermittlung in Bindsachsen  18 Telefonanschlüsse aus  folgenden sechs Gemeinden (Gelnhaar-Bindsachsen-Kefenrod-Wolferborn-Rinderbügen und Michelau). Diese Anschlüsse wurden alle von Hand vermittelt. Innerhalb dieses Bezirks konnten die Teilnehmer untereinander mit zwei Schnüren verbunden werden. Ferngespräche wurden über die Vermittlung in Stockheim hergestellt. Die Vermittlung in Bindsachsen musste rund um die Uhr von einem Mitarbeiter besetzt werden.

Die Teilnehmer mit Rufnummer waren:

  1. Revierförsterei Bindsachsen (Reifschneider)
  2. Bürgermeisterei Bindsachsen (Höfling)
  3. Elektro Betz Kefenrod
  4. Elektro Köhler Kefenrod
  5. Otto Schnuth Bindsachsen
  6. Bürgermeisterei Kefenrod (Reutzel)
  7. Bürgermeisterei Rinderbügen (Kraul)
  8. Bürgermeisterei Gelnhaar (Bellinger)
  9. Poststelle Kefenrod
  10. Bürgermeisterei Wolferborn (Guillaumon)
  11. Bürgermeisterei Michelau (Leo)
  12. Poststelle Michelau
  13. Poststelle Gelnhaar
  14. Post und Vermittlung Bindsachsen
  15. Poststelle Rinderbügen
  16. Revierförsterei Michelau (Appel)
  17. Poststelle Wolferborn
  18. Fleischbeschauung Rinderbügen (Herd)

 


 

Von Rudolf Höfling.

Vom Luftfahrtministerium zum Wetteramt

Am 22. Juli 1921 wurde ich, Rudolf Höfling, als zweiter Sohn der Eheleute Juliane und Otto Höfling in Bindsachsen, damals Hauptstraße 42, heute Lindenstraße 55, geboren. Mein Vater wurde im August 1931 zum Bürgermeister gewählt. 1935 übernahm er vom Luftfahrtministerium in Berlin eine Niederschlagsstation. In diesem Jahr schloss ich die Schule ab und übernahm deshalb diese Aufgabe.

Ich beobachtete das Wetter: Jeden Morgen um 7.30 Uhr maß ich die Niederschlagsmenge und dokumentierte sie schriftlich. Ich musste aufschreiben von wann bis wann Regen oder Schnee fiel. Bei einem Gewitter wurde der erste und der letzte Donnerschlag mit Zeitangabe aufgeschrieben, auch von wann bis wann Hagel fiel. Im Winter musste das Eis aufgetaut werden, damit anschließend die Wassermenge gemessen werden konnte.

Jede Niederschlagsart hatte ihr spezielles Zeichen: Regen = ∑, Schnee = *, Donner = ƒ, Sturm = 1111. Die jeweilige Stärke wurde in Zahlen von null bis zwei, bei Sturm von eins bis zehn festgehalten.

1942 wurde ich zur Wehrmacht eingezogen. Während meiner Abwesenheit übernahm meine Schwester Anna die Niederschlagsstation bis 1945. An das Wetteramt Offenbach berichtete ich ab dem 1. Januar 1946 bis zur Beendigung meiner Tätigkeit am 31. Oktober 1997. 1982 bekam ich vom Vorsitzenden der Wetterstation Offenbach, Herrn Jurksch, die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland überreicht.

Als ich 1997 die Wetterstation an meinen Nachfolger, Herrn Manfred Gröber übergab, konnten meine Familie und ich auf weit über 50 Jahre Wetterbeobachtung zurückblicken. Hier exemplarisch ein typisches Jahr mit den monatlichen Niederschlagsmengen in mm: Januar 90, Februar 30, März 43.1, April 13.6, Mai 46.8, Juni 91.2, Juli 37.1, August 22, September 48.8, Oktober 51, November 87.8, Dezember 79.5 = Summe 640.9 mm im Jahr 1991.


Von Heinrich Kehm und Horst Faust.

Die Geschichte des Gemeinschaftlichen Jagdbezirks
Rückblick auf die Bindsächser Jagd von 1950 bis heute

Wir, die Jagdpächter des Gemeinschaftlichen Jagdbezirks Bindsachsen, wurden gebeten einen Beitrag  zu der  Festschrift anlässlich des  50-jährigen Bestehens der Freiwilligen Feuerwehr Bindsachsen zu leisten. Wir kommen dieser Bitte sehr gerne nach, da wir Jäger in unserer dörflichen Gemeinschaft sehr eng eingebunden sind und auch noch eine gesellschaftliche Akzeptanz  erfahren, die in der heutigen Zeit nicht mehr selbstverständlich ist. Andernorts gibt es Bestrebungen von sogenannten Naturschützern , z.T. Menschen aus der Großstadt, die bezüglich Landwirtschaft, Forst und Jagd keine Erfahrungen haben, außer das neue Regeln erstellt werden sollen, um diverse Ziele zu erreichen.

Bezüglich der Entwicklung der Jagd möchten wir etwas weiter ausholen. Nach Kriegsende waren fast alle Reviere mit vielen Wildarten stark überbesetzt; neben Niederwild waren  Sauen stark vertreten, Rot- u. Damwild kamen als Wechselwild häufig vor. Dies änderte sich in den ersten Jahren der Besatzung sehr rasch. Hauptsächlich in der Nähe amerikanischer Standorte hatte das Wild stark zu leiden, da hier zum Teil sehr massiv und wahllos und mit allen Waffen durch die Amerikaner in die Wildbestände eingegriffen wurde. Da von deutschen Jägern zu dieser Zeit keine Waffen geführt werden durften, wurden Saufänge und Fallgruben gebaut, um Wildschäden zu vermeiden. Ab 1950/51 wurden erstmalig im Bereich des KJV Büdingen mit Sondergenehmigung 12 Karabiner von den Amerikanern befristet ausgegeben, um die hohen Schwarzwildbestände reduzieren zu können.

Der erste Nachkriegspächter des Bindsächser Reviers war ab 1946 Herr Schäfer, Börsenmakler aus Frankfurt, der die Jagd schon vor dem Krieg betreute. Nach dessen Ableben in den 50-er Jahren wurde die Jagd von Herrn Teves, einem Industriellen, Herrn Dr. Steuer, einem Zahnarzt und Herrn Dr. Gutberlet, einem Steuerberater, auch alle aus Frankfurt, übernommen und bis 1970 ausgeübt. Ab 1971 pachtete Herr Heinrich Kehm aus Bindsachsen die Jagd. In einem Nachtragsvertrag  wurde Herr von der Haid als Mitpächter aufgenommen. Seit 1990 betreuen Herr Kehm und Herr Faust die Jagd. Die Jagdpachten haben sich im Zeitraum ab 1971 bis heute ca. vervierfacht. Die durchschnittlichen Wildschäden haben sich im Zeitraum von 1971 bis heute ca. verfünffacht. Dies entspricht  in etwa der Situation in den umliegenden Revieren mit Feldanteilen.

Die Wildbestände waren nach dem Krieg stark erhöht. Durch die Bejagung der Amerikaner sanken die Bestände sehr stark, bei Rehwild fast bis zur Ausrottung. Durch gezielte Bewirtschaftung haben sich die Wildbestände dann wieder erholt. Heute zeigt sich durch hauptsächlich wärmeres Klima und entsprechenden Anbau von Feldfrüchten ein Überbestand an Sauen, der im Besonderen nach dem verheerenden Sturm „Wiebke“ mit seinen zum Teil sehr großen Waldschäden expandierte. Der Sturm  Wiebke in 1990/91 brachte sehr hohe Einbußen im Forst und erschwerte die Jagd durch Entwicklung großflächiger Dickungen. Weiterhin ist eine Verschiebung der vorhandenen Tierarten festzustellen. So gibt es bei Hasen, Fasanen und Rebhühnern kaum noch bejagbare Bestände. Durch Beendung der Fuchsvergasung in den 60 er Jahren und durch neuerliche Tollwutimpfungen hat der Bestand an Füchsen, Dachsen , Waschbären und Mardern sehr stark zugenommen. Neuerdings tritt auch der Marderhund (Enok) auf. Die Rehwildbestände sind dem Revier angepasst; Rot- u. Damwild tritt selbst als Wechselwild seit Jahren überhaupt nicht mehr auf. Sauen sind derzeit ein schwer bejagbares Problem geworden. Ein weiterer Problembereich ist die stark angestiegene Zahl von Wildunfällen. Bedingt durch das stark angestiegene Verkehrsaufkommen haben sich die Wildunfallzahlen ab 1994 durchschnittlich auf 16 Stck. Rehwild und 7 Stck. Schwarzwild per anno erhöht. Dies betrifft die uns gemeldeten Unfälle mit gefundenem Wild, die Dunkelziffer dürfte bedeutend höher liegen.

Trotz dieser in den letzten Jahren erschwerten Bedingungen wollen wir die Jagd weiterhin als einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag zum Erhalt unserer natürlichen Ressourcen sehen. Jagd ist auch Hege. Weiterhin streben wir einen toleranten Umgang mit allen anderen Nutzern unserer Natur an. Wir hoffen damit auch in Zukunft die Grundlage für ein Miteinander von Jägern, Landwirten und Freizeitaktivisten gelegt zu haben.


Von Heinz Günther.

Expertenclub Bindsachsen

In den 50er Jahren, so ab dem Jahre 1953, hatte die Dorfjugend wenig Möglichkeiten, ihre Freizeit abwechslungsreich zu gestalten. Man stand im Berufsleben, auch am Samstag, oder war in der elterlichen Landwirtschaft tätig. Der Begriff „Freizeit“ war ein Fremdwort und man hatte lediglich am Wochenende Gelegenheit, sich miteinander zu treffen. Dies geschah dann meistens in einer Gaststätte. Abwechslung bot lediglich die „Singstunde“ des Gesangvereins, welche einmal wöchentlich abgehalten wurde, oder die Einstudierung eines Theaterstückes im Herbst, was an Weihnachten aufgeführt wurde. Autos fuhren nur wenige und wenn überhaupt, dann von Geschäftsleuten. Dafür waren die Postomnibusse das wichtigste Beförderungsmittel und wurden daher auch stark in Anspruch genommen. Das Fernsehgerät war ein Luxusgegenstand und nur wenige Bewohner konnten sich ein solches leisten. Das Radio war ein wichtiger Unterhaltungs- und Nachrichtengeber. Wer ein Moped „NSU-Quickly“ oder „Viktoria Vicky“ sein Eigen nennen konnte war angesehen. Wer aber Ende der 50er Jahre sogar ein Motorrad besaß, war ein gern gesehener Freund.

So wurde aufgrund der wenig gegebenen Freizeitmöglichkeiten aus der Not heraus, im Jahre 1958 der legendäre „Expertenclub“ gegründet. Die Aufgabe diese Clubs sollte es sein, die jugendliche Gemeinschaft zu fördern, wobei die Geselligkeit im Vordergrund stand. Es wurde eine Satzung aufgestellt und von den Gründungsmitgliedern genehmigt. So hatte zum Beispiel jedes Mitglied wöchentlich einen Betrag von DM 0,50 zu leisten. Die „Generalversammlung“ wurde vierteljährlich abgehalten. Für diese Versammlungen wurden die angesammelten Beiträge wieder an die Mitglieder zurückgegeben, indem Essen und Getränke in reichlicher Auswahl zur Verfügung standen. Erwartungsvoll und lustig anzuhören waren die Ausführungen des Schriftführers. Von ihm wurden alle Vorkommnisse, wenn erforderlich sogar täglich, notiert und entsprechend wiedergegeben. Das Ende einer „Generalversammlung“ war immer erst am danach folgenden Morgen, und man freute sich schon jetzt auf das nächste Vierteljahr.

Bei der Gründungsversammlung am 01. August 1958 waren 17 Personen anwesend. Interessant dürfte die abgedruckte Satzung sein. Sie wird manchen zu Nachdenken und Schmunzeln bewegen. Das Vereinslokal  – Gasthaus zum weißen Roß –  mit den Eheleuten Wilhelm und Minna Schrimpf war für uns eine prima „Herberge“. Besonders die „Eile Minna“ musste gar manche Unannehmlichkeiten über sich ergehen lassen. Sie hat aber dadurch vieles erlebt und ist dazu auch noch alt geworden (90 Jahre).

Die aktive Zeit des Expertenclubs dauerte nur knapp zwei Jahre. Die Erinnerungen sind aber heute noch lebendig und die noch lebenden Mitglieder sprechen des öfteren über eine schöne Vergangenheit. Jeder erinnert sich gerne zurück. Waren das noch Zeiten, als drei Gläser Bier 0,25 l nur DM 1,05 kosteten und für 20 Pfennige das Lied „Bona Sierra“ aus der an der Wand hängenden Musikbox erklang.